In der Pressemitteilung des ISF München vom 6. Mai 2015 finden Sie alle wichtigen Informationen zur Konferenz „Die digitale Arbeitswelt von morgen braucht die Menschen“.
Pressemitteilung des ISF München vom 6. Mai 2015
Wissensarbeit im Zeitalter der Digitalisierung: Digitales Fließband oder neue Humanisierung
Die digitale Revolution bietet die Möglichkeit zu einer grundlegenden Neugestaltung der Arbeitswelt. Immer mehr Unternehmen hierzulande erkennen die Notwendigkeit sich neu zu erfinden. Sie begeben sich auf die Suche nach neuen Arbeitsformen, um die neuen Potenziale zu erschließen. Wie diese Entwicklung im Sinne der Menschen gestaltet werden kann, untersuchen WissenschaftlerInnen des ISF München und der FAU Erlangen-Nürnberg im Rahmen des B M A S- Projektes „Wing – Wissensarbeit im Unternehmen der Zukunft nachhaltig gestalten“.
„Unsere Forschungen zeigen, dass der digitale Umbruch, der zunächst vor allem die IT-Industrie erfasste, sich inzwischen auch in anderen Branchen vollzieht“, berichtete WING-Projektleiter PD Dr. Andreas Boes den über 200 Expertinnen und Expert e n , d i e im Rahmen der Konferenz „Die digitale Arbeitswelt braucht die Menschen“ die neuen Trends und Herausforderungen für die Wissensarbeit der Zukunft diskutierten. „In den gegenwärtig ablaufenden Suchprozessen werden die Weichen für die Entwicklung der Arbeitswelt neu gestellt“, betonte der Soziologe.
Zwei gegensätzliche Orientierungen bestimmen die Bemühungen der Unternehmen. Viele denken nur darüber nach, wie sie die neuen Potenziale zur Automatisierung nutzen können – wie sie also die Arbeit von Menschen durch Maschinen ersetzen können. Aber eine wachsende Anzahl an Unternehmen versteht, dass die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung vor allem im Entstehen eines weltweiten Informationsraums begründet sind. Dieser öffnet neue Möglichkeiten Arbeitsprozesse global verteilt zu organisieren, Wissen auszutauschen, miteinander zu kommunizieren und so insgesamt die Potenziale von Wissensarbeit zu heben. Sie erkennen die zentrale Bedeutung, die dem Informationsraum in der digitalen Arbeitswelt zukommt. „Die Rolle, die das Maschinensystem für die Industrie des 19. und 20. Jahrhunderts spielte, wird der Informationsraum für die Unternehmen im 21. Jahrhundert einnehmen“, erklärte ISF-Wissenschaftler Dr. Tobias Kämpf in seinem Vortrag.
Entscheidend sei es allerdings, den Informationsraum nicht nur als eine technische Infrastruktur zu sehen, sondern ihn vielmehr als neuen sozialen Handlungsraum zu begreifen. Mit der Umsetzung dieser neuen Leitorientierung transformieren die Unternehmen Arbeit grundlegend. Der Wandel der Arbeitswelt betrifft das Unternehmen in allen Dimensionen: die Arbeitsorganisation, den Arbeitsplatz, das Verständnis von Führung und die Karrieregestaltung sowie das Verhältnis von Arbeit und Leben und die Unternehmenskultur. „Sobald ein Unternehmen an einer dieser Stellschrauben dreht, geraten auch die anderen in Bewegung“, beschrieb der Experte die Mechanismen der Neugestaltung.
Ob die Umsetzung dieses Leitbilds auch zu einer neuen Humanisierung der Arbeitswelt beitrage, hänge davon ab, welche Strategie zur Nutzung des Informationsraums sich in den Unternehmen durchsetzt, erläuterte Kämpf. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten könnten zugunsten einer permanenten kleinteiligen Steuerung und Kontrolle abgebaut werden. Andererseits könnten die neuen digitalen Technologien aber auch die Selbstorganisation, Eigenverantwortung und Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützen.
„Digitales Fließband und Daten-Panopticon oder Aufbruch in eine neue Humanisierung der Arbeitswelt? Wir stehen im Moment an einem Scheideweg“, fassten Boes und Kämpf vom ISF München sowie Anja Bultemeier von der FAU Erlangen-Nürnberg ihre bisherigen Forschungsergebnisse zusammen. Diese offene Situation spüren nach ihrer Beobachtung auch die Beschäftigten, die zwar einzelne Facetten des Wandels positiv sähen, aber der Entwicklung insgesamt mit Unsicherheit und auch Misstrauen begegneten.
Für Thomas Sattelberger, unter anderem Sprecher der Initiative Neue Qualität der Arbeit und ehemaliger Personalvorstand der Deutschen Telekom AG, hängt die erfolgreiche Gestaltung der digitalen Arbeitswelt von zweierlei ab: einerseits ob es gelingt, kreative Ökologien zu schaffen; andererseits, ob es die etablierten Unternehmen schaffen, sich im Zuge der Transformation aus den jetzigen starren Organisations- und Hierarchiestrukturen zu befreien und so den Talenten und der Innovationskraft der Mitarbeitenden den Weg zu bahnen. „Je stärker die Kontrolle, je enger die Führung umso geringer das Commitment, umso geringer die gelebte Kreativität“, hob der Führungsexperte in seiner Keynote hervor. Vor allem wissensbasierte Unternehmen müssten die Menschen durch Freiräume in die Lage versetzen, ihre Aufgaben und ihr Team selbst in die Hand zu nehmen. Für die Industrie 4.0 gelte dies künftig auch in den Produktionswelten. „Für die Gestaltung gibt es jedoch kein Patentrezept. Jedes Unternehmen muss experimentieren und auf dem Weg in eine humanisierte Arbeitswelt seine eigenen Konzepte und Instrumente finden.“
Ihre Konzepte und Ideen für die digitale Arbeitswelt und Ansätze für eine mitarbeiterorientierte und nachhaltige Gestaltung präsentierten und diskutierten auf der ersten WING-Konferenz namhafte VertreterInnnen der andrena objects ag, Audi AG, Deutsche Telekom AG, Robert Bosch GmbH, SAP SE und Software AG sowie der Industriegewerkschaft Metall. Alfred Löckle, Vorsitzender des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Bosch Gruppe, sprach sich dabei für Regelungen aus, die es Arbeitnehmern erlauben ihre Kreativität und Schaffenskraft optimal zu entfalten. „Die Frage, ob am Ende die Menschen die Handelnden bleiben oder ob ihre Fähigkeiten an die Maschine delegiert werden, müssen wir gemeinsam beantworten“, erklärte der Gewerkschaftler. Dr. Hans-Jürgen Urban warnte davor, die Auswirkungen zu unterschätzen, die aus dem Szenario des digitalen Fließbands resultieren. Das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall prognostizierte, dass psychische Belastungen bis hin zum Burnout weiter zunehmen werden. „Deswegen müssen klare und verbindliche Regelungen verabschiedet werden, die Beschäftigte und Betriebsräte dazu befähigen, aktiv die Gesundheit zu schützen.“ Im weiteren Verlauf des Projekts werden diese Erkenntnisse in beteiligungsorientierten Gestaltungsprozessen mit den Mitarbeitern umgesetzt.
Zum Projekt
Wing ist ein Verbundprojekt unter Leitung des ISF München in Kooperation mit der IG Metall und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Es wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert und im Rahmen der Initiative Neue Qualität der Arbeit durchgeführt sowie durch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin fachlich begleitet.